Windelfrei – Was ist das denn? Wie ist es möglich, dass ein kleines Baby gar keine Windeln trägt?
Meine erste Begegnung mit Windelfrei war nicht gerade positiv. Ich war mit meiner ersten Tochter schwanger und hatte mir noch wenig Gedanken übers Wickeln gemacht. Zufällig traf ich auf mehrere Mütter, die „Windelfrei“ praktizierten. Ungläubig schaute ich auf ein 4 Monate junges Baby, welches nur mit Body und Stulpen bekleidet war. Dann wieder zu seiner entspannten Mutter, dann wieder zum unruhigen Baby. „Ich muss den Jonas schnell abhalten, der muss schon wieder.“ Abhalten?
Meine Neugier war geweckt und ich begann mich mit dem Thema zu beschäftigen. Der Begriff „Windelfrei“ ist meiner Meinung nach etwas unglücklich gewählt. Denn auch windelfreie Babys tragen ab und zu Windeln und sind nicht komplett unten ohne. Im Englischen heißt das Ganze treffenderweise „Elimination Communication“ – Ausscheidungskommunikation. Genau darum geht es auch: um die bewusste und achtsame Kommunikation mit dem Baby, nicht um verfrühte Sauberkeitserziehung.
Mittlerweile haben wir zwei Kinder. Mit beiden haben wir windelfrei praktiziert. Mit der Kleinen machen wir es noch. Im folgenden Text möchte ich euch nun etwas von meinen Erfahrungen berichten.

Inhalt
Windelfrei – was ist das?
Wusstet ihr, dass Babys Signale von sich geben, wenn sie mal müssen? Auch schon die ganz Kleinen. Jedes Baby kommt mit dem Bedürfnis auf die Welt, sauber und trocken zu sein. Eigentlich wollen sie von Natur aus gar nicht in die Windel machen. Wer sitzt schon gerne selbst in seinen Ausscheidungen?
Doch da wir es ihnen so beibringen und sie ihr Geschäft in die Windel verrichten lassen, verlieren sie irgendwann ihre Signale. In vielen Ländern der Welt ist es nämlich selbstverständlich, dass Babys gar keine Windeln tragen. Ganze 80% aller auf der Welt geborenen Babys werden nie in ihrem Leben eine Windel an ihrem Körper tragen! Das Konzept der „Windel“ ist hauptsächlich in der westlichen Welt verbreitet.
Dabei dreht es sich gar nicht um verfrühte Sauberkeitserziehung. Es geht vielmehr um die Kommunikation mit dem Baby. Wir nehmen die Bedürfnisse des Babys wahr, geben ihm die Möglichkeit, sich zu entleeren, und dafür ist es entspannt und zufrieden.
Bei Windelfrei wird das Baby einfach über einem kleinen Töpfchen oder der Toilette abgehalten. Während dem Abhalten machen wir ein Geräusch, damit es das Baby immer mit dem Geschäft machen assoziieren kann, z.B. „Psschhh“.

Wann müssen wir das Baby abhalten?
Babys geben Signale von sich, wenn sie müssen
Ihr habt bestimmt alle schon mal die Situation erlebt, wie euer Baby ganz unruhig wurde, sich hin und her drehte, und einfach irgendwie unzufrieden schien. Kurz danach kam dann die Überraschung: ein dickes Kacka in die Windel. Wer kennt es?
Bei Windelfrei lassen wir das Baby in dieser Situation nicht in die Windel machen, sondern ziehen es schnell aus und halten es über einem Töpfchen ab. Und das immer und immer wieder, wenn wir solche Signale erkennen. Manchmal ist es ziemlich eindeutig, manchmal kann es einem Ratespiel gleichen. Auch bei Pipi geben Babys Signale von sich.
Die Signale des Babys können sein:
- Weinen
- Quengeln
- Schreien
- Unruhe
- Schlafstörungen
- wildes Strampeln
- etc.
Legt euer nackiges Baby einfach mal auf eine wasserfeste Unterlage und beobachtet es eine Zeit lang. Wann pieselt es? War es davor unruhig, hat es gestrampelt oder geweint?
Auch können sich diese Signale immer wieder ändern. Wenn ihr euer Baby aufmerksam beobachtet, werdet ihr es mit der Zeit feststellen. Alle Eltern müssen am Anfang lernen, ihr Baby zu verstehen. Wann hat es Hunger? Wann ist es müde? Genauso ist es auch mit den Ausscheidungen. Euer Baby wird euch verständlich machen, dass es sich nicht mit Urin oder Stuhl beschmutzen möchte.
Nach den ersten vier Monaten werden die Signale allerdings weniger und stoppen schließlich, weil das Baby sein ursprüngliches Körpergefühl für seine Ausscheidungen verloren hat.
Babys müssen meistens zur selben Zeit
Es gibt ein paar Standard Situationen, die sich immer fürs Abhalten eignen:
- nach dem Aufwachen
- kurz nach dem Stillen oder Fläschen geben
- zwischen zwei Spieleinheiten, bzw. nach dem Spielen
Ihr könnt euch auch nach der Uhr richten. Kleine Babys müssen nämlich sehr oft. Wenn das letzte Abhalten schon fünfzehn Minuten her ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es jetzt wieder muss.
Nach einiger Zeit stellt sich bei den Meisten ein Bauchgefühl ein, dass das Baby mal muss. Oftmals ist es ein starkes Gefühl oder ein Gedanke, die Intuition. Grund dafür ist, dass windelfrei die Bindung zwischen Eltern und Kind sehr stark fördert und nonverbale Kommunikation möglich macht.
Die richtige Windelfrei Kleidung
Wichtig ist, euer Baby regelmäßig zu beobachten, um die Signale richtig deuten zu können. Das geht am besten, wenn es unten rum nackt ist.
Die meisten Windelfrei Babys tragen obenrum kleine Hemdchen, Stulpen an den Beinen, und untenrum sind sie nackig. Die beliebten Bodys eignen sich nur bedingt. Manchmal muss es einfach schnell gehen. Es gibt aber auch spezielle „Abhalte-Höschen“, die sogenannten Schlitzhosen, oder kleine Schlüpfer. Alles, was sich schnell ausziehen lässt, ist in diesem Fall gut geeignet. Die Schlitzhosen lassen sich zum Abhalten einfach leicht zur Seite ziehen.
Natürlich geht das Ganze auch mit Windeln. Falls ihr euer Baby nicht die ganze Zeit beobachten könnt, seid ihr mit Windeln auf der sicheren Seite. Sehr praktisch sind in diesem Fall vor allem Stoffwindeln. Hier könnt ihr am besten fest stellen, ob das Pipi schon in die Windel ging, oder sie noch trocken ist. Seht die Windel in diesem Fall einfach als saugfähige Unterhose, und nicht als Toilette.
Und wenn doch mal etwas daneben geht? Das passiert bei windelfrei ziemlich häufig. Es geht auch gar nicht darum, jedes Pipi aufzufangen. Euer Baby bekommt ein Gefühl dafür, je öfter es merkt, dass es gerade pieselt. Das fühlt sich natürlich unangenehm an, und umso deutlicher werden die Signale. Wasserfeste Unterlagen sind hier das Must Have.

Windelfrei in der Praxis – ist das nicht total aufwendig?
Im Folgenden möchte ich euch ein bisschen von unserem Windelfrei Alltag berichten.
Unser Windelfrei-Start
Gleich nach der Geburt unserer ersten Tochter fingen wir an, sie abzuhalten. Und zwar über ein kleines Töpfchen, das aussieht wie ein umgedrehter Zylinder, das sogenannte „Asia Töpfchen“ – und DAS Must Have im Windelfrei-Alltag. Mein Mann übernahm das Abhalten zu Beginn. Unser neugeborenes Baby war noch so zerbrechlich, dass ich gar nicht wusste, wie ich sie beim Abhalten anfassen sollte. Am Anfang hielten wir sie immer beim Wickeln und nach dem Aufwachen ab. Irgendwie merkte man ihr es wirklich schon an. Sie wurde unruhig, irgendwie unentspannt… und es klappte tatsächlich! Meistens jedenfalls.
Mit den Wochen änderten sich ihre Signale. Manchmal lachte sie, wenn sie musste. Manchmal meckerte sie. Manchmal ließ sie sich auch gar nichts anmerken. Beim Stillen, nach dem Aufwachen und im Tragetuch zeigte sie jedoch stets zuverlässig an.
Die meiste Zeit sah unsere Tochter aus, wie ein typisches Windelfrei Baby: unten ohne und mit Stulpen bekleidet. So hatten wir den besten Überblick, wie oft sie am Tag macht – und das war in den ersten Monaten sehr, sehr oft. Unsere Wohnung glich einer Maler Baustelle – wir hatten alles mit wasserdichten Unterlagen ausgelegt. Unfälle passierten dann trotzdem meistens genau da, wo keine Unterlage lag – am liebsten auf der Couch, im Bett oder auf unseren Körpern.
Nach drei Monaten hielten wir sie erfolgreich bei jedem großen Geschäft ab. Ab und zu passierten noch Ausrutscher – aber insgesamt hatten wir fast keine Kacka-Windeln mehr. Sie wusste, was wir von ihr wollten, und grinste jedes Mal, wenn wir ihre Signale richtig deuteten. Sie fing sogar richtig an zu meckern, wenn sie musste, und wir sie nicht schnell genug abhielten.
Nach fünf Monaten entwickelte sich so etwas wie ein Rhythmus: Sie verrichtete ihr großes Geschäft jeden Tag zur gleichen Zeit. Pipi zeigte sie uns so zuverlässig an, dass wir ihr keine Windeln mehr anzogen, sondern kleine Schlüppis. Da Sommer war, machte es auch nichts, wenn mal etwas daneben ging.
Windelfrei nachts – nicht ganz so einfach
Das erste Mal nachts ohne Windel wagten wir, als unsere Tochter 2 Monate alt war – viel zu früh. Im Schlaf zeigte sie rein gar nichts an und lies es einfach vor sich hin laufen. Den nächsten Versuch starteten wir, als sie fünf Monate alt war. Manchmal klappte es gut, manchmal nicht. Das kann bei jedem Baby individuell sein. Wir entschieden, dass der Schlaf uns wichtiger war. Deshalb trug sie in der Nacht stets eine Windel.
Windelfrei unterwegs
Beim Einkaufen im Supermarkt, beim Autofahren oder auf Ausflügen trug unsere Tochter stets Windeln. Wenn möglich, hielten wir sie trotzdem auch unterwegs ab. Das Asia Töpfchen war jedenfalls immer dabei. Zur Not musste es aber auch mal hinter dem Baum am Spielplatz oder auf der Toilette eines Cafés sein.
Falls es uns mal nicht möglich war, sie auszuziehen, obwohl sie musste, hielten wir sie einfach mit Windel in die Abhalte Position. So konnte sie sich entspannen und wusste was zu tun ist. Wir erklärten ihr dabei, dass wir sie gerade nicht ausziehen können und sie in die Windel machen darf. Babys verstehen nämlich mehr als wir denken! Die Windel wechselten wir danach sofort.
Der Windelfrei-Streik
Mit ca. neun Monaten begann der Windelfrei-Streik. Unsere Tochter wollte partout nicht mehr abgehalten werden – obwohl wir wussten, dass sie muss. Über dem Asia Töpfchen schrie sie und machte sich steif. Legten wir sie hin, ließ sie es freudig laufen. Also zogen wir ihr wieder Stoffwindeln an. Das Geschrei war groß. Beine wurden zusammen gekniffen und gemeckert, was das Zeug hält. Sie hatte sich so an die Freiheit unten rum gewöhnt, dass sie einfach keine Windel tragen wollte. Aber sie ließ sich auch nicht abhalten.
Diese Streikphasen hatten wir in den folgenden Wochen immer mal wieder. Meistens, wenn unsere Tochter während eines Wachstumsschubes gerade etwas Neues lernte. Krabbeln, Laufen, und die Welt entdecken ist nun mal viel interessanter, als sich auf seine Ausscheidungen zu konzentrieren. Dann ließen wir sie einfach in die Windel machen.

Windelfrei macht Spaß!
Mein Fazit nach zwei Kindern: Windelfrei lohnt sich. Und macht Spaß!
Klar, es ist etwas aufwendig: Wir müssen unser Baby stets genau beobachten und seine Signale richtig deuten. Aber wir merken ihm an, wie glücklich, entspannt und zufrieden es ist.
Unsere erste Tochter bekam sehr schnell ein Gefühl für ihre Ausscheidungen, da sie so oft nackig war. Mit 23 Monaten brauchten wir keine Windeln mehr, auch nicht nachts.
Unsere zweite Tochter ist nun 9 Monate alt und trägt die meiste Zeit Stoffwindeln. In der Wohnung lassen wir sie auch oft nackig. Wir halten sie stets ab, wenn wir ein Signal von ihr erkennen. Nach dem Aufwachen halten wir sie immer ab, was zuverlässig klappt. Auch das große Geschäft geht nur noch selten, ca. einmal im Monat, in die Windel. Meistens, weil wir zu langsam sind und nicht schnell genug reagieren. Im Alltag mit zwei Kindern geht das leider manchmal etwas unter.
Für mich hat Windelfrei nur Vorteile: Es spart Unmengen an Plastikmüll (Wusstet ihr, dass eine Plastikwindel 300-500 Jahre zum Verrotten braucht?), ist hygienisch und verhilft dem Baby zu einer guten Wahrnehmung des eigenen Körpers. Das Baby fühlt sich wohl, ist weniger wund, früher trocken und nebenbei produzieren wir auch noch weniger Müll. Einfach toll!
Habt ihr schon einmal von Windelfrei gehört? Haltet ihr eure Babys ab?
Ich freue mich auf eure Kommentare.
Eure Julia